Kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats beim Bezug von Essensgutscheinen an Arbeitnehmer während eines Streiks

Der Einzelhandel erlebte im Tarifbezirk Baden-Württemberg im Jahr 2013 eine seiner längsten Tarifauseinandersetzungen der jüngeren Zeit. Auch bei unserer Mandantin, einem größeren Einzelhandelshaus in Südbaden, waren mehr als 40 Streiktage zu verzeichnen. Die nicht streikenden Mitarbeiter erhielten im Jahr 2013, wie auch schon in verschiedenen Jahren zuvor, Essens- und Getränkegutscheine, wenn sie an den betreffenden Tagen arbeiteten, anstatt zu streiken. Die streikenden Mitarbeiter erhielten keine Gutscheine.

Der Betriebsrat begehrte in dem von ihm eingeleiteten Beschlussverfahren Unterlassung der Gewährung von Mitarbeitergutscheinen für Speisen und Getränke, solange nicht die Zustimmung des Betriebsrats oder ein Beschluss der Einigungsstelle vorliegt. Er verwies auf sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nummer 10 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG), unter das im Rahmen der mitbestimmungspflichtigen betrieblichen Lohngestaltung auch geldwerte Leistung und Vorteile mit Entgeltcharakter fielen.

Die Arbeitgeberin machte geltend, etwaige Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 BetrVG seien im Streitfall ausgesetzt, soweit das Streikgeschehen selbst durch die arbeitgeberseitigen Maßnahmen betroffen seien.

Das ArbG Freiburg entschied mit Beschluss vom 11. November 2014 (11 BV 2/14; rechtskräftig) zugunsten der Arbeitgeberin. Bei der Gewährung von Essens- und Getränkegutscheinen an nichtstreikende Mitarbeiter handele es sich um eine so genannte Streikprämie, da Essen und Getränke kostenlos nur während des Streiks gewährt wurden und die Gutscheine auch nur zu diesen Zeitraum genutzt werden konnte. In einem solchen Fall sei das im Grundsatz bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausnahmsweise suspendiert, also ausgesetzt, weil ansonsten durch eine Verweigerung der Zustimmung des Betriebsrats unzulässig in das Arbeitskampfgeschehen eingegriffen werden könne.

 

HELFER Rechtsanwälte meinen:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Freiburg ist bemerkenswert, weil es sich um eine der wenigen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen handelt, die eine Leistungsgewährung während eines Arbeitskampfs als Streikprämie für zulässig erklärt und gleichzeitig die Mitbestimmung des Betriebsrats verneint. Insgesamt gibt es zur Thematik ohnehin nur wenig einschlägige Rechtsprechung. Das Bundesarbeitsgericht hat in Entscheidungen aus den Jahren 1992 und 1993 Streikprämien zwar prinzipiell für zulässig erklärt, wenn durch die Streikarbeit erhebliche Belastung erfolgen, die über das normale Maß der mit der Streikarbeit verbundenen Erschwerung hinausgehen.

Verschiedene Instanzgerichte (u. a. Landesarbeitsgericht Hamm 1997 und das Arbeitsgericht Frankfurt/M. im Jahr 1999) haben in späteren Beschlüssen die Mitbestimmung des Betriebsrats nachträglich bejaht, weil der direkte Streikbezug der dort gewährten Leistungen nicht darstellbar war. So musste das Arbeitsgericht Frankfurt /M. am 14. September 1999 beispielsweise darüber entscheiden, ob ein erst nach dem Streik gewährtes Gratis-Essen noch als Streikprämie gelten kann. Das Frankfurter Gericht hat dies verneint.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Freiburg trägt daher zur Abgrenzung und damit zur Rechtssicherheit bei. Die Ausgestaltung von Streikprämien bleibt aber auch weiterhin ein Thema mit vielen offenen Fragen.

Betriebsräte und Gewerkschaften dürften Streikprämien auch weiterhin prinzipiell als unerwünscht ansehen, weil sie Teile der Belegschaft von der Streikteilnahme abhalten können.

Auf der anderen Seite sind Streikprämien aber auch für den Arbeitgeber kein leicht zu handhabendes Instrument. Zahlreiche Punkte müssen bei Planung zur Einführung und Gewährung einer Streikprämie bedacht werden. An erster Stelle sind dies natürlich prognostisch Aufwand und Nutzen, in rechtlicher Hinsicht dürfen aber auch die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, die Streikbezogenheit der Leistung selbst und mögliche Verpflichtungen zur Nachgewährung aus den Tarifverträgen oder Nebenvereinbarungen nach Abschluss des Arbeitskampfs nicht aus dem Auge verloren werden. Anderenfalls besteht die Gefahr, dass der Betriebsrat gerichtlich Unterlassung beantragt. Auch einer Verpflichtung zur nachträglichen Gewährung der Leistung nach Abschluss des Arbeitskampfs an Mitarbeiter, die sich am Arbeitskampf beteiligt haben, ist denkbar und droht als Risiko.

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