Abfindung von Betriebsrenten-Ansprüchen wegen Altersdiskriminierung

Mittlerweile über 20 Jahre alt ist die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im sogenannten „Barber“-Fall und doch wirft sie einen langen Schatten auf das System der betrieblichen Altersversorgung in Deutschland: Der EuGH hatte  mit  Urteil vom 17. Mai 1990 (C-262/88) entschieden, dass eine geschlechtsspezifische unterschiedliche Altersgrenze bei der Inanspruchnahme von betrieblicher Altersversorgung grundsätzlich einen Verstoß gegen die Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft (EG, heute: Europäische Union) bedeutet. Die deutsche Rechtsprechung hat dieses Urteil in den folgenden Jahren aufgegriffen, bestätigt und bis heute fortgeführt.

In zahlreichen Urteilen wurde das in früheren Versorgungsordnungen und anderen Zusagen festgeschriebene Prinzip, wonach Männer mit Vollendung des 65. Lebensjahres, Frauen jedoch bereits mit Vollendung des 63. Lebensjahres betriebliche Altersversorgung ungekürzt beziehen können, folgerichtig als rechtswidrig bezeichnet. Mittlerweile sehen die meisten Versorgungsordnungen keine unterschiedliche Behandlung mehr vor, sondern knüpfen an einen einheitlichen Zeitpunkt (zumeist den nunmehr unterschiedslos geltenden Bezugszeitpunkt der gesetzlichen Rente, also derzeit 67 Jahre) an.

Damit ist die Angelegenheit jedoch alles andere als erledigt. Denn in dem Zeitraum zwischen der Barber-Entscheidung und den Anpassungen der Versorgungsordnungen, die oft viele Jahre auf sich warten ließen, bestand die Ungleichbehandlung jedenfalls rechtlich fort. So sahen zahlreiche Versorgungsordnungen einen so genannten versicherungsmathematischen Abschlag von der betrieblichen Altersversorgung vor, wenn männliche Versicherte Betriebsrente vor dem 65. Lebensjahr in Anspruch nehmen wollten. Umgekehrt erhielten weibliche Versicherte, die über das 65 Lebensjahren hinaus tätig waren, häufig entsprechende versicherungsmathematischer Zuschläge auf ihre Renten. Gerade diese Praxis der unterschiedlichen Behandlung  ist jedoch rechtswidrig, weil diskriminierend.

Zusätzliche Ansprüche entstehen durch die „Barber“-Entscheidung daher vor allem für Männer: Sie müssen sich in vielen Fällen für Versicherungszeiten zwischen dem 17. Mai 1990 und dem Zeitpunkt der Herstellung der rechtlichen Gleichstellung von Mann und Frau in der Versorgungsordnung zum Einen keine Abschläge gefallen lassen, wenn sie sich entscheiden oder entschieden haben sollten, bereits vorzeitig betriebliche Altersversorgung zu beziehen.  Bekommen sie hingegen betriebliche Altersversorgung erstmalig mit dem gesetzlichen Renteneintrittsalter, können sie verlangen, wie weibliche Versicherte behandelt zu werden, nämlich entsprechende Zuschläge für die spätere Inanspruchnahme zu erhalten. Dies kann je nach Ausgestaltung der Versorgungsordnung und vor allem der vergangenen Zeit zwischen dem Barber-Urteil und der Änderung der jeweiligen Versorgungsordnung  leicht mehrere 100,- € zusätzliche monatliche Rentenzahlung ausmachen, und das auf die gesamte Restdauer der Betriebsrentenzahlung, häufig also bis ins hohe Alter der Versicherten.

Hiervon werden die Begünstigten in aller Regel natürlich nicht informiert. Die Mehransprüche der begünstigten Arbeitnehmer aus den monatlichen Rentenzahlungen verjähren dann regelmäßig nach 3 Jahren.

Andere Versorgungseinrichtungen versuchen diese Zahlungsverpflichtungen durch Einmalzahlungen abzudämpfen. Dazu werden den Versicherten gewöhnlich alsbald nach Eintritt in den Ruhestand Angebote auf Abfindung durch Einmalzahlung  für den Verzicht auf Rentennachberechnungen nach den Regeln des „Barber“-Urteils gemacht – ein unerwarteter „Geldsegen“, den die Versicherten in der Mehrzahl und oft genug vorschnell annehmen, ohne sich zuvor rechtlich beraten zu lassen. Tatsächlich erreichen die Abfindungsangebote oft nicht einmal 20 % dessen, was der Versicherte  unter Berücksichtigung seiner restlichen statistischen Lebensdauer beanspruchen könnte.

Mögliche Ansprüche gegen den ehemaligen Arbeitgeber lassen sich die Versorgungseinrichtungen dabei häufig abtreten, um die höheren Betriebsrenten zu einem späteren Zeitpunkt gegen den ehemaligen Arbeitgeber geltend machen zu können. Ob und in welchem Umfang ein solcher Rückgriff Erfolg hat, hängt maßgeblich von den rechtlichen Beziehungen zwischen der Versorgungseinrichtung und dem ehemaligen Arbeitgeber ab – eine Frage also, die rechtlich und tatsächlich nicht pauschal zu beantworten ist.

Für Arbeitgeber und Arbeitnehmer gilt gleichermaßen, Vertragsangebote nur nach genauer Prüfung  der Sach- und Rechtslage anzunehmen und sich gegebenenfalls zuvor ausführlich beraten zu lassen.

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