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Kein Freistellungsanspruch nach § 14 des Manteltarifvertrages (MTV) für den Einzelhandel in Baden-Württemberg bei gleichzeitigem Urlaub

Montag, Juni 27th, 2016

Die Klägerin hatte in der Zeit vom 29. September bis 11. Oktober 2014 genehmigten Urlaub. Ihr in Spanien lebender Stiefvater starb überraschend am 28. September 2014 . Daraufhin beantragte die Klägerin am 30. September 2014 für den 6. und 7. Oktober 2014 bei ihrem von uns vertretenen Arbeitgeber, einem Einzelhandelshaus in Baden-Württemberg, Freistellung nach § 14 E Nr. 1 f) des auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Manteltarifvertrags für den Einzelhandel in Baden-Württemberg (MTV), um an diesen Tagen Formalitäten im Zusammenhang mit dem Begräbnis ihres Stiefvaters zu erledigen. Damit sollten zwei Tage Urlaub „geschont“ und für einen späteren Zeitpunkt aufgehoben werden. Die Arbeitgeberin lehnte ab und verwies darauf, dass der Arbeitnehmerin bereits Urlaub gewährt wurde.

Hiergegen erhob die Arbeitnehmerin Klage vor dem Arbeitsgericht Freiburg auf Feststellung, dass sie am  6. und 7. Oktober 2014 keinen Urlaub gehabt habe, sondern nach dem Manteltarifvertrag freigestellt gewesen sei und berief sie sich auf den Wortlaut der tariflichen Vorschrift, der vorsieht, dass eine Freistellung ohne Anrechnung auf den Urlaub erfolgt.

Die Klage wurde jedoch in beiden Instanzen abgewiesen.

Bereits das Arbeitsgericht Freiburg entschied erstinstanzlich, dass die Gewährung einer tariflichen Freistellung im Fall von Urlaub ausgeschlossen sei. Wenn ein Arbeitnehmer bereits durch Urlaubsgewährung von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung befreit sei, könne es schon begrifflich nicht noch einmal zu einer gesonderten „weiteren“ Freistellung nach der tariflichen Vorschrift des § 14 MTV kommen. Daran ändere sich auch angesichts der Tatsache nichts, dass der Tarifvertrag ausdrücklich die Nichtanrechnung auf den Urlaub vorsehe. Diese Auffassung wurde vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg am 24. September 2015 (11 Sa 36/15; rechtskräftig) bestätigt. Ausdrücklich vom Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg offen gelassen wurde hingegen, ob die Arbeitnehmerin die Freistellung nicht im Anschluss an ihren Urlaub hätte beanspruchen können, da sie diese ausdrücklich für Tage ihres bereits gewährten Urlaubs wünschte.

 

HELFER Rechtsanwälte meinen:

 

Die besprochene Entscheidung ist ein Musterbeispiel dafür, wie der vermeintlich „erste Eindruck“ einer Vorschrift, nämlich der Wortlaut, auf juristisches „Glatteis“ führen kann. Da im besprochenen Fall die tarifliche Regelung ausdrücklich die Freistellung „ohne Anrechnung auf den Urlaub“ vorsah, könnte man als juristischer Laie ohne weiteres auf die Idee kommen, dass sich die Arbeitnehmerin die Urlaubstage, die auf die gewünschte Freistellungzeit fallen, nicht anrechnen lassen muss und sie die Tage stattdessen zu einem späteren Zeitpunkt noch als Urlaub nehmen kann – so wird es z. B. im Grundsatz bei Krankheit im Urlaub gemacht. Die Gerichte sahen das anders. Der Grund für die Unterscheidung liegt nach den Entscheidungsgründen in der unterschiedlichen Zwecksetzung von Freistellung und Urlaub einerseits sowie einer klareren Formulierung der Regelung bei einem Zusammenfall von Krankheit und Urlaub durch das Bundesurlaubsgesetz andererseits.

Der Umgang mit derartigen juristischen Feinheiten erfordert langjährige Erfahrung im Umgang mit tariflichen Vorschriften, und selbst dann erlebt man bisweilen auch als praxiserprobter Jurist in tarifrechtlichen Fragen immer noch die eine oder andere faustdicke Überraschung. Dies liegt auch häufig an der Arbeit der tarifschließenden Parteien selbst. Schon der Gesetzgeber steht in jüngerer Zeit immer häufiger in der Kritik, weil er bisweilen unpräzise, lückenhafte oder sogar widersprüchliche Gesetztestexte erarbeitet, die dann in der Praxis zu erheblichen Streitigkeiten führen. Dies gilt für Tarifvertragsparteien, die mit den Tarifverträgen nichts anderes als „Gesetze“ für den Bereich des Arbeitsverhältnisses ihrer Mitglieder vereinbaren, nach unserer Erfahrung ebenso, vielleicht sogar noch in verstärktem Maß.

Alleine dem Wortlaut sollte man daher in juristischen Fragen nie trauen, erst recht nicht als Arbeitgeber. Auch bei scheinbar „klarem“ Wortlaut lohnt es sich häufiger einmal, hinter die „sprachlichen Kulissen“ vermeintlicher tarifvertraglicher Ansprüche zu schauen und auch zwar auch bei langjähriger „geübter“ Praxis deren Plausibilität zu hinterfragen.

Aber auch als Arbeitnehmer kann und sollte man aus der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg Lehren ziehen. Auch hier kann ein spontaner Schnellentschluss (in vorliegendem Fall die Auswahl der Tage der Freistellung) unter Umständen zu erheblichen Nachteilen führen.

Gerade bei nichtalltäglichen Ansprüchen aus Tarifverträgen sollte bereits im Vorfeld gut überlegt werden, welche Ansprüche man wie beim Arbeitgeber geltend macht. Wichtig kann dabei sein, auf welche Art (z. B. auf schriftlichem Weg) oder auch innerhalb welcher Zeit (zur Vermeidung von tarifvertraglichen Ausschlussfristen). Eine fundierte rechtliche Beratung im Vorfeld, aber auch zum möglichst schonenden Vorgehen bei der Rechtsverfolgung im noch bestehenden Arbeitsverhältnis kann hier helfen, viel Ärger und Enttäuschung zu verhindern.