„Kennen gelernt“ im Arbeitszeugnis

Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 15. November 2011, 9 AZR 386/10, entschieden, dass die in Zeugnissen häufig gebrauchte Formulierung „kennen gelernt“ nicht zum Ausdruck bringt, dass die im Zusammenhang hiermit angeführten Eigenschaften tatsächlich nicht vorliegen.

Dem Kläger, einem Mitarbeiter eines SAP-Competence-Centers, war 2007 in seinem Zeugnis bescheinigt worden:

„Wir haben Herrn K. als interessierten und hoch motivierten Mitarbeiter kennen gelernt, der stets eine sehr hohe Einsatzbereitschaft zeigte. Herr K. war jederzeit bereit sich über die normale Arbeitszeit hinaus für die Belange des Unternehmens einzusetzen. Er erledigte seine Aufgaben stets zu unserer vollen Zufriedenheit.

Herr K., der Kläger im Verfahren, war der Auffassung, das Zeugnis sei nicht ordnungsgemäß. Der Gebrauch der Worte „kennen gelernt“ drücke stets das Nichtvorhandensein der im Kontext aufgeführten Fähigkeiten aus.

Dies sah das Bundesarbeitsgericht, ebenso wie die Vorinstanzen, anders:

Ein objektiver und damit unbefangener Arbeitgeber mit Berufs- und Branchenkenntnissen erhalte durch die im Zeugnis enthaltene Formulierung, sowie deren Gesamtzusammenhang,  nicht den Eindruck, der Arbeitgeber attestiere dem Arbeitnehmer in Wahrheit Desinteresse und fehlende Motivation. Eine Mehrdeutigkeit komme der Formulierung selbst nicht zu. Daher sei die Formulierung „kennen gelernt“ nicht zu beanstanden. Den gegenteiligen Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm vom 27. April 2000 – Az.: 4 Sa 1018/99 – und vom 28. März 2000 -Az.: 4 Sa 648/99 – sei daher nicht zu folgen. In diesen Entscheidungen hatte das LAG Hamm die Formulierung noch dahingehend ausgelegt, dass der Arbeitnehmer nach Ansicht des Arbeitgebers die Eigenschaft gerade nicht besitze.

 

Kommentar von HELFER Rechtsanwälte:

Im Ergebnis wird man die Entscheidung als zutreffend bezeichnen müssen.  Tatsächlich bringt die Formulierung, eine/n Mitarbeiter/in als interessiert und hoch motiviert  „kennen gelernt“ zu haben, sicherlich nicht zwingend Desinteresse und fehlende Motivation zum Ausdruck. Da die Formulierungen im Kontext ansonsten einen positiven Tenor hatten, konnte das Bundesarbeitsgericht keine offene oder versteckte Fehlbeurteilung sehen.

Gleichwohl erweist sich das Urteil in seiner Konsequenz als problematisch:

Dies liegt einmal an den bereits über 10 Jahre alten entgegenstehenden Entscheidungen des LAG Hamm. In Konsequenz dieser Rechtsprechung hat die arbeitsrechtlich beratende Praxis jahrelang sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer auf die nunmehr vom Bundesarbeitsgericht verneinte Zweideutigkeit aufmerksam gemacht. Es mag zutreffen, dass sich ein Sprachempfinden, wonach eine allgemein verschlüsselte Bedeutung der Formulierung „kennen gelernt“ in der Zeugnissprache besteht, nicht herausgebildet hat. Für die beratende Praxis hat dies in den letzten Jahren freilich keine Rolle gespielt. Allein aus der ständig geübten Beratung entsteht – gewollt oder ungewollt – gerade in praxisorientierten Fachkreisen ein entsprechendes Bewusstsein im Umgang mit der genannten Formulierung. Es könnte nun umgekehrt wiederum Jahre dauern, bis sich alle an die vom Bundesarbeitsgericht nunmehr festgestellte Rechtslage „gewöhnen“. Den Nachteil tragen dann Arbeitnehmer, in deren Zeugnisse die Formulierung „kennen gelernt“ in der Zwischenzeit – gewollt oder ungewollt – aufgenommen wurde, wenn diese von Personalleitern gelesen werden, die von der „Wende“ in der Rechtsprechung möglicherweise erst verspätet etwas mitbekommen.

Hinzu kommen sprachliche Aspekte, die das BAG nach unserer Auffassung nicht hinreichend gewürdigt hat:

Eine Person in der Probezeit mit einer gewissen Eigenschaft „kennen gelernt“ zu haben, bedeutet nicht, dass sich die Person bei Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis noch durch die gleiche Eigenschaft auszeichnet. Wer sich bei Beginn des Arbeitsverhältnisses als zuverlässig erwiesen hat und vom Arbeitgeber solchermaßen „kennen gelernt“ wurde, muss nicht auch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zuverlässig  gewesen sein.

Es empfiehlt sich aus unserer Sicht daher nach wie vor, die Formulierung „kennen gelernt“ im Arbeitszeugnis zu vermeiden, es sei denn man will gerade betonen, das eine positive Eigenschaft im Laufe des Arbeitsverhältnisses verloren gegangen ist. Wenn im entschiedenen Fall Herr K. von Beginn an interessiert und hoch motiviert gewesen sein sollte, ist die sprachlich einfachere und auch zutreffende Formulierung „Herr K. ist ein sehr interessierter und hoch motivierter Mitarbeiter“. Zur Vermeidung möglicher Fehldeutungen sollte deshalb auch der Arbeitnehmer nach wie vor darauf zu achten, dass in einem Zeugnis mit guter Benotung die Formulierung „kennen gelernt“ nicht verwandt wird. (AH)

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